Pakt mit den Gangstern

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Schwarze Kassen in El Salvador
Yuri Cortez, AFP, Getty Images
Mitglieder der verfeindeten Gangs MS-13 und Barrio 18 dicht an dicht im Gefängnis. Mit solchen Fotos will die Regierung von El Salvador glauben machen, sie habe die Banden im Griff.
El Salvador
Die Zahl der Morde in El Salvador ist während der Corona-Pandemie deutlich gesunken. Nach Zeitungs­recherchen steckt dahinter ein Abkommen zwischen dem Präsidenten und kriminellen Banden.

Wir können bestätigen, dass es an diesem Tag im gesamten Land null Morde gegeben hat“, verkündete Nayib Bukele über Twitter. Es war der 31. Juli vergangenen Jahres und Bukele war gerade einmal zwei Monate Präsident von El Salvador. Insgesamt war die Zahl der Morde im Juli 2019 auf einem historischen Tiefstand: 154 Menschen wurden in dem zentralamerikanischen Land mit gut sechs Millionen Einwohnern in jenem Monat umgebracht. Es war der am wenigsten blutige Monat seit dem April 2013, in dem die Behörden 143 Morde registriert hatten.

Die niedrigen Zahlen gingen damals auf ein Abkommen zwischen der Regierung unter dem Präsidenten Mauricio Funes mit den beiden großen Verbänden von kriminellen Banden zurück, der Mara Salvatrucha (MS-13) und Barrio 18. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts kontrollieren die beiden Banden vor allem die ärmeren Gegenden El Salvadors. Nach Recherchen der Internetzeitung „El Faro“ ist der jüngste Rückgang ebenfalls das Ergebnis eines Pakts, den Bukele mit den Mördern und Erpressern geschlossen hat. Der Präsident streitet das freilich ab.

El Salvador, das in den 1980er Jahren unter einem blutigen Bürgerkrieg gelitten hatte, kam auch nach dem Friedensvertrag von 1992 zwischen der damaligen Regierung und der Guerilla der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) nicht zur Ruhe. Die UN sprechen von einer „Gewaltepidemie“, wenn in einem Land in einem Jahr mehr als zehn Menschen pro 100.000 Einwohnern ermordet werden. In El Salvador war diese Zahl seit dem Ende des Bürgerkriegs meist mehr als fünf Mal so hoch. 

Die beiden großen Banden sind nicht in El Salvador entstanden. Sie haben ihren Ursprung in den 1980er Jahren in den USA, vor allem in Los Angeles. Kinder von Bürgerkriegsflüchtlingen schlossen sich dort zusammen – zunächst, um sich gegen andere Jugendgangs zu verteidigen. Bald aber übernahmen sie den Straßenhandel mit Drogen, fochten Revierkämpfe aus und rutschten mehr und mehr ins organisierte Verbrechen. 

Nayib Bukele, El Salvadors Präsident seit dem Juni 2019. Der 39-Jährige gibt sich gern als Staatschef wider die Konventionen.

Nach dem Friedensvertrag in El Salvador begannen die USA, Gangmitglieder in ihre Heimat abzuschieben. Dort haben sie in den Armenvierteln ihre eigenen Strukturen geschaffen. Sie führen regelrechte Kriege um ihre Einflussbereiche, kontrollieren den örtlichen Drogenhandel und erpressen Schutzgeld. Wer nicht bezahlt, wird ermordet. Jugendlichen aus armen Familien, die oft vorzeitig die Schule verlassen, aber nur selten eine Arbeit finden, bieten sie ein – wenn auch gefährliches – Auskommen. In den vergangenen 25 Jahren sind die „Maras“ genannten Banden auf über 60.000 Mitglieder gewachsen. Nimmt man ihre Familien und ihre Helfer dazu, leben nach einer Schätzung der Nationalpolizei fast eine halbe Million Menschen von ihren kriminellen Umtrieben.

Die meisten Regierungen reagierten in der Vergangenheit mit harter Repression. Minister ermunterten Polizisten, sie sollten nicht zögern, sondern schießen. Die sozialen Probleme, die diese Banden immer stärker werden ließen, wurden dagegen nie angegangen. In jedem Wahlkampf waren die Maras ein zentrales Thema: Sie waren der Feind, den man mit kriegerischen Mitteln bezwingen wollte.

Autorin

Cecibel Romero

ist freie Journalistin in San Salvador.
Dem zwischen 2009 und 2014 regierenden Funes war es gelungen, die Zahl der Morde eine Zeit lang zu halbieren. Unterhändler seiner Regierung hatten den in einem Hochsicherheitsgefängnis einsitzenden Chefs der beiden Banden bei geheimen Gesprächen Hafterleichterungen bis hin zu Prostituiertenbesuchen zugestanden. Im Gegenzug sollten sie ihren Krieg untereinander und die Morde an Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung einstellen. Das Abkommen wurde ein gutes Jahr lang einigermaßen eingehalten, dann wurde es von „El Faro“ in einer im März 2012 beginnenden Artikelserie öffentlich gemacht. Funes leugnete die Vorwürfe zunächst und machte dann einen Rückzieher. Seit Juli dieses Jahres ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen dieser Verhandlungen mit Verbrechersyndikaten gegen Funes und seinen damaligen Verhandlungsführer, den Verteidigungsminister General David Munguía Payés.

Die Mordzahlen sind gesunken

Unter dem amtierende Präsident Bukele sind die Mordzahlen erneut gesunken: Im vergangenen Jahr gab es außer dem 31. Juli fünf weitere Tage ohne einen Mord; die durchschnittliche Zahl der täglichen Tötungsdelikte sank im Vergleich zu 2018 von 9,2 auf 6,6. Bukele, der vor seiner politischen Karriere eine Werbeagentur leitete, reklamiert die gesunkenen Mordzahlen für sich. Er behauptet, sie seien das Ergebnis seines „Plans für territoriale Kontrolle“. Dieser Plan des Präsidenten jedoch wird geheim gehalten, Strategie und Ziele wurden nie offengelegt.

Deshalb gibt es Zweifel am Erfolg. „Die zurückgegangene Zahl der Morde kann man nicht  auf den Plan zurückführen, es gibt keine objektiven und verifizierbaren Daten“, sagt etwa Verónica Reyna. Sie ist Leiterin des Menschenrechtsprogramms des Sozialdienstes des Passionistenordens. Die Organisation hat ihren Sitz in Mejicanos. Der Vorort der Hauptstadt San Salvador ist einer der Brennpunkte der Gewaltkriminalität. Im Juli 2010 hat sich hier eines der schlimmsten Massaker der Banden abgespielt. Mitglieder von Barrio 18 haben einen Bus niedergebrannt, 17 Passagiere kamen in den Flammen ums Leben. Es war ein Racheakt für den Mord an einem ihrer Chefs in dieser Gegend.

Dass es in diesem Jahr wegen der in der Corona-Krise begründeten Ausgangssperre weniger Tote geben würde, war zu erwarten. Die Herrschaft der Banden über die von ihnen kontrollierten Gebiete aber ist nicht gebrochen. Ein Video, das zwei Wochen nach dem Beginn der Ausgangssperre im Internet auftauchte, macht das deutlich. Es zeigt zwei Mitglieder einer Bande, die mit einem Baseballschläger einen Mann zusammenschlagen, der sich zum Einkaufen auf die Straße gewagt hatte. Es war ihre Art, dem Präsidenten zu zeigen, dass sie mit den von ihm verhängten Zwangsmaßnahmen einverstanden waren. Und dass sie bereit waren, diese auch durchzusetzen. Auch eine Studie der US-Amerikanischen Denkfabrik Insight Crime kommt zu dem Schluss, dass die Banden das tägliche Leben in ihren Gemeinden nach wie vor kontrollieren.

Ein Soldat patrouilliert im Februar 2020 in San Salvador. Wie seine Vorgänger setzt Präsident Bukele das Militär zunehmend für Polizeiaufgaben ein.

Bukele markierte von Anfang an den starken Mann gegenüber den Banden. So ließ er Fotos von hunderten gefangenen jungen Männern in Unterhosen verbreiten, die ohne Sicherheitsabstand in einer Halle zusammengepfercht und von Sicherheitskräften in Kampfmontur bewacht werden. Er verkündete, die Mitglieder der beiden sich bekriegenden Banden würden nun in gemeinsamen Zellen untergebracht. Doch das befürchtete Massaker unter den Häftlingen ist ausgeblieben. Die verstörenden Fotos waren nur Propaganda. Die verfeindeten Banden MS-13 und Barrio 18 wurden nach dem kurzen und öffentlichkeitswirksamen Zusammenschluss wieder in getrennten Zellen untergebracht.

Verhandlungen mit der MS-13

Anfang September veröffentliche die Zeitung „El Faro“ eine Recherche, die zeigte, dass die Regierung Bukele schon seit einem Jahr mit der MS-13 über eine Reduzierung der Morde und über ihre Unterstützung im Wahlkampf verhandelt hatte. „El Faro“ bekam Zugang zu Dokumenten, die mehrere Treffen zwischen dem Regierungsunterhändler Carlos Marroquín und Chefs der MS-13 belegen. Man habe inhaftierte Bandenmitglieder mit von ihnen gewünschten Mahlzeiten versorgt und ihnen versichert, die beiden großen Verbände nicht in gemeinsamen Zellen unterzubringen. Im Gegenzug verlangte die Regierung eine Halbierung der Morde, weil dies der von Bukele gegründeten Partei „Nuevas Ideas“ in der Parlamentswahl Ende Februar 2021 nützen würde. Derzeit verfügt die Partei des Präsidenten über keinen einzigen Abgeordneten im Parlament. „Die Banden entscheiden noch immer über Leben und Tod“, sagt Sergio Arauz, Journalist bei „El Faro“.

Der Regierungsunterhändler Marroquín reagierte überheblich auf die Veröffentlichung der Verhandlungen. „Es gibt keine Fotos, keine Videos, keine Tonbandmitschnitte. Es gibt keinerlei Beweise“, sagte er. Der Präsident selbst ging in einer Pressekonferenz am vergangenen 24. September noch weiter und bezichtigte „El Faro“ der Lüge. 

Seine Regierung brüstet sich damit, dass nicht nur die Zahl der Morde deutlich zurückgegangen sei, sondern auch die von Schutzgelderpressungen und von Gewaltdelikten gegen Frauen. Auch daran hat die Menschenrechtlerin Reyna ihre Zweifel. Nach ihrer Kenntnis sei die Polizei nicht effektiver geworden. Sie geht davon aus, dass viele Delikte einfach nicht angezeigt werden und nicht in Statistiken erscheinen. Den Opfern fehle das Vertrauen, dass bei einer Anzeige etwas passiert, sagt sie. 

Hunderttausende fliehen vor der Gewalt

Reyna glaubt, dass die Gewaltherrschaft der Maras immer brutaler werde. Die auf die Analyse von Konflikten spezialisierte „International Crisis Group“ hat etwa herausgefunden, dass die Zahl der Menschen, die vor der Bandengewalt aus ihren Wohnvierteln fliehen, seit fünf Jahren stetig angestiegen ist. Allein im vergangenen Jahr habe es über 400.000 solcher interner Flüchtlinge gegeben. Bukele reagiert darauf genauso wie die vorhergehenden Regierungen: Es werden immer mehr Soldaten für Polizeiaufgaben eingesetzt. Zugleich steigt der Verteidigungshaushalt von 145 Millionen US-Dollar im vergangenen Jahr auf 220 Millionen in diesem; für 2021 hat die Regierung 248 Millionen US-Dollar beantragt. Um dies der Bevölkerung schmackhaft zu machen, hat Bukele Werbespots drehen lassen, in denen die Soldaten als Helden gefeiert werden.

Dem Präsidenten gehe es nur um den schönen Schein, nicht um reale Ergebnisse, sagt Jeannette Aguilar. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Sicherheitspolitik El Salvadors und berät verschiedene internationale Organisationen, die zu dem Thema arbeiten. Die vor allem aus persönlichen Freunden, ehemaligen Angestellten und Verwandten bestehende Regierung des 39-jährigen Bukele interessiere sich nicht für eine effektive Sicherheitspolitik. „Sie will nicht die Sicherheit im Land verbessern, sondern die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten beeinflussen.“ Letztlich ziele Bukele auf gute Umfragewerte und Wahlergebnisse – und damit den Erhalt der Macht.

Dem früheren Präsidenten Funes hatte der Rückgang der Morde hohe Zustimmungsquoten beschert – bis die Geheimverhandlungen seiner Regierung mit den Maras aufflogen. Er vollzog eine Kehrtwende, der Waffenstillstand mit den Banden war geplatzt. Die Zahl der Morde stieg danach wieder sprunghaft an und erreichte 2015 mit 105 Tötungsdelikten pro 100.000 Einwohnern einen historischen Höchststand. Etwas Ähnliches kann Bukele nun auch passieren.

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